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Ausblicke und Einsichten

Autor:
Gertrud Keitel
Verlag:
Fabuloso Verlag
Erscheinungsjahr:
2024
Sonstiges:

204 Seiten
Zeichnungen von Rolf Spann
ISBN: 978-3-949150-27-2
Preis: 12:80 Euro

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Oder direkt beim Autor.
Leseprobe
Glück

Bertas letzte Ehre

Bauer Friedrich Pachel war mit seinem Karren unterwegs, der mit Milchkannen beladen war. Wie fast jeden Morgen brachte er die gefüllten Kannen zur Milchbank mitten im Ort. Nicht, dass dies unbedingt eine Arbeit für den Großbauern war, aber er machte es gern, trafen dort doch morgens auch noch andere ein, und da konnten Neuigkeiten des Dorfes ausgetauscht werden. Dies war für die Anwesenden ergiebiger als die Tageszeitung. Das Milchauto kam pünkt­lich, folglich war es sicher, immer jemanden anzutreffen. Die Unterhaltung zog sich an Tagen, wenn nicht so viel Arbeit anstand, oft in die Länge, und wenn dann die Chefs nach Hause kamen, war die Stallarbeit schon getan.

So auch an diesem Morgen. Friedrich stand mit drei anderen Herren zusammen und wollte sich grade verabschieden, da sah er Karl Wegner um die Ecke kommen. Er erkannte ihn von Weitem, denn Karl hatte ein steifes Bein aus dem letzten Krieg behalten und sein Gang war be­schwerlich. Nun war Karl im Dorf „Mädchen für alles“. Er war der Gemeindediener geworden. Bescheiden verrichtete er alle ihm aufgetragenen Arbeiten, und wenn er es nicht schaffen konnte, half ihm seine Frau. Sie war Küsterin und für die Sauberhaltung der Kirche zuständig. Hierbei half wiederum Karl, besonders beim Morgen- und Abend­geläut. Dies sollte morgens um sechs und abends um achtzehn Uhr stattfinden. Meistens stimmte die Zeit auch und wenn nicht, sagten die Leute, die es merkten:

„Na, heute hat es Karl aber wieder eilig“, oder

„heute hat Karl wohl zu lange geschlafen.“

Beanstandungen gab es nie. Lediglich um neun, das Totengeläut, das musste stimmen.

Als Karl näher zu der Männergruppe kam, rief Friedrich ihn zu sich. Er war nämlich auch Bürgermeister und hatte einen Auftrag zu vergeben. Die eine Hecke am Friedhof musste gekürzt werden und Karl lauschte den Ausführungen seines Vorgesetzten. Plötzlich kam aus dem gegenüberliegenden kleinen Haus die Witwe Emma Bauer herausgelaufen. Sie wedelte mit den Armen und rief immer wieder:

„Meine Berta, ach die arme Berta, die ist tot.“

Die Männer sahen sich an und Karl fragte: „Welche Berta ist tot?”

Die anderen hatten noch nichts von einem Todesfall im Ort gehört und nun sollte Berta tot sein. Im Dorf gab es mehrere Bertas, aber alle lebten doch noch, es musste ganz plötzlich passiert ein. Egal, es wird sich aufklären, meinte Karl. Aber er war ja nun schon in der Nähe der Kirche, und es war kurz vor neun, da würde er gleich die Totenglocke läuten.

„Ja, mach das mal, wir werden schon hören, was pas­siert ist“, meinte Friedrich in seiner Eigenschaft als Bürgermeister. Die Männer begaben sich auf den Heimweg und Karl stieg die Stufen zum Kirchturm hinauf, um die Glocke zu läuten.

Bei den ersten Glockenklängen zu dieser Tageszeit gingen sofort Türen und Fenster im Ort auf, und eine Frage beweg­te alle:

„Wer ist gestorben?“, und Friedrich konnte nur antworten: „Berta ist gestorben.“

Auch Karl und die Anderen wussten nicht mehr. Es blieb nichts anderes übrig, eine Nachbarin klopfte bei Emma und fand diese am Küchentisch weinend vor.

„Ach Emma, was ist denn passiert?“

Unter Weinen erzählte Emma:

„Meine Berta, meine treue Berta ist tot.“

Und die Nachbarin kannte Berta, es war die alte Ziege von Emma Bauer und ihr kostbarer Besitz.

Nun gab es eine wirkliche Neuigkeit im Dorf: „Der alte Karl hat die Ziege von der Emma ausgeläutet!“

Gelächter und Spott trafen nicht nur den Karl, auch die anderen Bauern, die nicht nachgefragt hatten, mussten einiges an Häme einstecken. Noch viele Jahre lang fragte man sich im Ort, wenn es um neun läutete:

„Ob es wieder eine Ziege ist?“

***

Drei Ausreißer

Anton Kluge lebte mit seiner Familie auf einem Gutshof in Pommern. Sein kleines Haus stand abseits des herrschaftlichen Gutshauses, nicht weit entfernt von den Wirtschaftsgebäuden und den umfangreichen Stallungen. Es war fast ein kleines Dorf, all die Häuser, in denen die Menschen wohnten, die auf dem Gutshof arbeiteten. Zu jeder Unterkunft gehörten auch ein Garten und ein Stück Land, dass die Arbeiter zur Selbstversorgung bewirtschaften konnten. Bei den meisten gab es einen kleinen Stall für Federvieh und Kaninchen.

Anton kannte nichts von der großen Welt. Er war hier geboren und hatte auch in dem Ort seine Frau gefunden. Sie arbeitete vorwiegend im Gutshaus, half bei der Wäsche und bei Feiern in der Küche. Anton selbst hatte eine wichtige Position am Gut, er war der Pferdepfleger, der Gespannführer. Da waren die schweren Pferde, die für die Arbeit auf den Feldern gebraucht wurden. Dann gab es Kutschpferde und natürlich die edlen Tiere, die zum Reiten bereitstanden. Anton liebte alle, pflegte sie, kannte all ihre Bedürfnisse und sprach mit ihnen. Der Gutsherr wusste das und würdigte die Arbeit seines Angestellten.

Im Laufe der Jahre war Antons Familie größer geworden. So baute er den kleinen Stall aus und fütterte ein Schwein. Er baute auf seinem Feld ein wenig Getreide an und einige Reihen Rüben und mit den Abfällen aus dem Garten konnte er sein Schwein mästen.

Das Schlachtfest im Herbst war für die Familie ein großes Ereignis. Aber bei sechs Kindern, die rasch älter werden, waren Wurst und Fleisch schnell aufgegessen, wenn auch nichts verschwendet wurde. So beschloss die Familie, im kommenden Jahr füttern wir zwei Schweine. Der Stall ist groß genug und wenn das Futter nicht reicht, hilft uns bestimmt der Gutsherr.

Der Frühling kam und Anton suchte zwei kleine Schweinchen für seinen Stall. Da las seine Frau in der Zeitung, dass in einem Ort in der Nähe ein Bauer Ferkel verkaufen wollte. Sofort ging sie mit der Nachricht zu Anton. Der wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und machte sich nach Feierabend auf den Weg. Auf seinem Handwagen hatte er eine Kiste befestigt, denn er wollte die Tiere gleich mit nach Hause nehmen. Er hoffte, dass sie noch nicht anderweitig verkauft worden waren. Der Weg war weit, und Anton kam ins Schwitzten, obwohl es Frühling war. So kam er schließlich auf dem Bauernhof an.

„Ja, die Ferkel sind noch da, aber es sind drei Stück“, sagte der Bauer. Er wollte alle zusammen verkaufen. Verkaufte er nur zwei, was sollte er dann mit dem dritten Tier anstellen?

Der Bauer bot Anton einen Sonderpreis an, wenn er alle gleich mitnehmen würde. Das wollte Anton auf keinen Fall, aber ohne Ferkel wollte er auch nicht nach Hause kommen. Der weite Weg wäre ja vollkommen umsonst gewesen. Es begann ein Handeln und Feilschen und am Ende wurde man sich einig und alle drei Ferkel wechselten den Besitzer. Sie wurden in die Kiste gesperrt und diese am Handwagen festgezurrt. Es war zwar ein wenig eng für die Drei, aber sie kamen ja bald in den Stall, obwohl es da auch eng werden würde. Nein, so richtig zufrieden war Anton nicht, als er sich auf den Heimweg machte. Er musste seiner Frau das Geschäft erklären, denn sein ganzes Geld hatte er hergeben müssen.

In Gedanken versunken machte er sich auf den Heimweg. Der Weg führte ein Stück bergauf und dann bog er in einen Wald. Hier war es kühl und Anton beschloss, eine Pause zu machen. Der Waldboden war mit Moos bedeckt, er legte sich hin, schaute in die Blätter der Bäume- und plötzlich fand er seinen Kauf gar nicht mehr so schlimm und schlief über diesen Gedanken ein. Den drei Ferkeln in der Kiste war es zu eng oder zu langweilig geworden. Vielleicht war auch die Kiste nicht ganz so sicher verschnürt. Jedenfalls schafften sie es, den Deckel zu verschieben, so dass sie in die Freiheit entfliehen konnten.

Von all dem bemerkte Anton nichts. Nach der harten Arbeit des Tages und der Wanderung mit dem Handwagen war er erschöpft und schlief tief und fest. Als er erwachte, war die Sonne fast untergegangen. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und konnte es nicht glauben, die Kiste war leer und nirgends ein Ferkel. Zwischen den Bäumen war es fast dunkel. Trotzdem lief er hin und her, lockte und rief Koseworte, die sowieso kein Schwein verstanden hätte. Er konnte nichts machen, nahm die Deichsel seines Handwagens und zog schweren Herzens Richtung Heimat. Voll Sorge dachte er an seine Frau. Wie sollte er es ihr erklären, dass das ganze mühsam zusammen gesparte Geld war weg und kein Schweinchen in seinem Kasten auf dem Handwagen.

Nach dem ersten großen Schreck, und nachdem sie alles erfahren hatte, tröstete die Frau ihren Mann. Sie fand, die Ferkel müssen doch irgendwo sein. Wir haben sie durch die Anzeige in der Zeitung bekommen, also soll Anton in der Zeitung auch eine Anzeige aufgeben und anfragen, ob jemand Ferkel eingefangen hat. Sie ließ nicht locker und Anton musste am nächsten Tag zur Stadt. Dort angekommen, wartete er geduldig, bis er an der Reihe war und sein Anliegen vorbringen konnte. Als er zu sprechen begann, ließ der Reporter ihn stehen und rannte hinter dem letzten Kunden her. Der hatte nämlich eine Anzeige aufgegeben, weil er ein Ferkel eingefangen hatte und nun den Besitzer suchte. Das Missgeschick sprach sich herum, und im Laufe der nächsten Tage bekam Anton auch die übrigen gekauften Schweinchen zurück.

In den Sommermonaten durften die Tiere ins Freie. Als es Herbst wurde, bestellte Anton den Schlachter und das dickste Schwein wurde zuerst geschlachtet. Die anderen folgten bei Bedarf im Laufe des Winters.

Ja, es war eng geworden in dem kleinen Stall, aber es gibt eben mehr geduldige Tiere, nicht nur Schafe. Bis zu ihrem Ende hatten die drei Ferkel aber ein wunderbares Schweineleben bei Anton gehabt.
Rezension

Klappentext

Kein Fernsehen, kein Handy, kein Internet, keine Kontakte? – Oh doch!

Nach der Arbeit saßen die Menschen am Feierabend oder an Sonntagen auf ihren Bänken vor den Haustüren. Sie sahen das Vieh über die Dorfstraße heimkehren. Sie hörten lachende Kinder mit ihren schnatternden Gänsen näherkommen.
Nachbarn fanden sich ein und Geschichten wurden erzählt oder Pläne geschmiedet:
‚Weißt du noch, letztes Jahr, nach dem Erntedankfest?‘
‚Habt ihr schon gehört, der Hermann will einen alten Ochsen verkaufen.‘
‚Wollen wir dieses Jahr wieder einen Tanz in den Mai veranstalten?‘

Es gab viel Arbeit tagsüber und viele Themen am Abend. Und ich war damals als kleines Mädchen dabei.

Heute sind die meisten Bänke vor den Häusern verschwunden, aber in diesem Büchlein werden sie noch einmal aufgestellt; die damaligen Dorfbewohner nehmen ihre Plätze ein und die Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, sich dazu zu gesellen.