Leseprobe
Der Kiosk
Neben unserem Haus stand rechter Hand ein Zeitungskiosk. Rundherum hingen Zeitungen und Illustrierte, es roch nach Druckerschwärze und Lakritze. Vorne war ein kleines Fenster, da schaute ein Gesicht mit lustigen, dunklen Augen heraus. Es standen immer Leute herum und ich war fasziniert von den bunten Bildern der Illustrierten.
Wenn es regnete, roch es besonders stark. Ich drückte mich an den Kiosk. Tropfen fielen vom überhängenden Dach, ich wurde nicht nass. Geborgenheit.
Manchmal schob sich neben meinem Kopf ein Arm aus dem Fenster, in der Hand lag ein Bonbon für mich, die Augen lachten.
So ging das eine lange Zeit. Mein Kiosk mit dem lustigen Gesicht!
Es war an einem Sommerabend. Ich saß auf den Steinstufen vor der Haustür. Quietschend fuhr die Straßenbahn in die Kurve. Die Autos mit den drei Rädern und der spitzen Schnauze tuckerten vorbei. Plötzlich sah ich, wie sich an dem Kiosk eine, von mir nie bemerkte Tür öffnete, eine ganz gewöhnliche Frau heraustrat und die Tür abschloss.
Ich war erstaunt, stand dann schnell auf. Der Frau wollte ich nicht begegnen.
Mein Kiosk hatte kein Gesicht mehr!
Das Radio in der Diele
Meistens war der Apparat an. Doch wenn Männerstimmen grölten, Hitler hießen sie wohl, oder Himmler oder Göring, rief meine Mutter aus der Küche: „Stellt das Radio ab, ich kanns nicht mehr hören.“
Einmal blieb sie wie angewurzelt stehen, dann lief sie verzweifelt hin und her und sagte immerzu: „Nein, das darf man nicht tun, nein, nein das nicht!“
Ich schaute sie erschrocken an und fragte dann: „Was ist das: ‚geköpft‘?“
Es war Februar 1943, keine Zeit für weiße Rosen.
Der Dorfpolizist
Untersetzt, feist, stiernackig, eine unangenehme Person, der man aus dem Weg ging. Einmal war er bei uns auf dem Hof.
Ich weiß nicht mehr, was er wollte.
Als er ging, stand Johann, unser polnischer Zwangsarbeiter mit dem Pferd, der Liese, welches er gerade ausgespannt hatte auf dem Hof.
Der Polizist ging zu ihm und schlug dem Polen mit der Faust ins Gesicht. Einfach so.
Ich war entsetzt und das Pferd scheute.
Der schwarze Mann
Der Krieg hatte auf dem Dorf ein anderes Gesicht. Es gab im Rathaus einen Mann, der Dorfbewohnern persönlich die Nachricht überbrachte, dass ein Vater, ein Sohn, ein Mitglied unserer Gemeinschaft gefallen war.
Wenn er mit schwarzem Hut und Mantel unterwegs war, fragten die Menschen angstvoll: Wen wird es diesmal treffen?
Eine Frau aus dem Dorf hatte vier Söhne im Krieg.
Viermal war er bei ihr.