Leseprobe
Der Monokini und die Befreiung des Körpers (S.52 – 56)
… Wenn auch etwa ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit Aufklärung, Industrialisierung, Säkularisierung, Liberalisierung und Modernisierung, der „Entdeckung“ der Natur, der bürgerlichen Reformbewegung des späten 19. Jahrhunderts,, des Massensports usw. die Leibfeindlichkeit wieder abnahm, hatte das Baden doch seinen lustbetonten geselligen Charakter auf lange Zeit eingebüßt. Hygienische und gesundheitliche Gründe sowie das neue Motiv der Körperertüchtigung reichten aber aus, um zuerst Kur-, Heil- und Seebäder und später Frei- und Hallenbäder einzurichten, wobei für letztere die Förderung des Schwimmsports im Vordergrund stand (*115). Reformer wie der „Turnvater“ Ludwig Jahn (1778-1852) oder der Tuberkulosebekämpfer Robert Koch (1843-1910) haben wiederholt auf den gesundheitlichen Wert der Bewegung im Freien einschließlich des Schwimmens hingewiesen. Somit füllten sich die Strände, und mit der Öffentlichkeit des Badens kamen auch Schicklichkeitsgebote und Verhüllungszwang auf. Vielfach durfte nur – wie heute in islamischen Ländern – nach Geschlechtern getrennt gebadet werden. Eine andere Möglichkeit, den Erfordernissen der Moral beim Baden zu genügen, war die Badeschaluppe (1794 zum ersten mal in Deutschland) oder der 1753 in England von Benjamin Beale erfundene geschlossene Badekarren: Während der Fahrt kleidete man sich aus und öffnete, nachdem der Karren an einer seichten Stelle in Ufernähe zum Stillstand gekommen und der Badeschirm heruntergelassen war, die hintere Tür, um unbekleidet (und „unsichtbar“) über eine hölzerne Treppe ins Meer zu steigen. Anschließend stieg man in den Karren zurück, ließ sich vom (natürlich stets gleichgeschlechtlichen) Badepersonal (*116), beim Abtrocknen und Ankleiden behilflich sein und ans Ufer zurückfahren (*117).
Die einfachste Alternative der Vermeidung von Blicken auf „unanständige“ Körperpartien beim Schwimmen war jedoch die „Erfindung“ der Badekleidung. Vorläufer waren 1734 in Baden bei Wien getragene Damenbadehemden mit bleieingefassten Säumen zur Verhinderung des „Aufschwimmens“. Georg Christoph Lichtenberg berichtet 1775 von mietbaren Badeanzügen in den englischen Seebädern. Obgleich die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufkommenden Damenbadeanzüge (eng anliegende Haube aus Wachstuch, Hose, Kittel aus schwarzem Wollstoff, dicke Badeschuhe) bereits von Zeitgenossinnen als „sehr garstig“ empfunden wurden, änderte sich nichts wesentliches daran: Beinkleid und vorn durchgeknöpfte gegürtete Bluse, unter der stets ein Mieder getragen wurde, blieben bis in die 80er Jahre Grundbestandteile des Badekostüms. Als Materialien wurden feste Stoffe, vor allem in gedeckten Farben gehaltene Flanelle bevorzugt, die langsam trockneten und nur bedingt wasser- und sonnenbeständig waren (*119).
Innerhalb von Jahrzehnten rutschten dann die Säume – begleitet vom Gezeter der Tugendwächter, die sich natürlich auch über die Ende des Jahrhunderst aufkommenden Familienbäder entrüsteten – immer höher. Noch 1914 wurden am Strand von Brighton Beach (bei New York) drei junge Frauen verhaftet; zwei davon, weil sie ihre beinlangen schwarzen Strümpfe ausgezogen hatten, um den Sand auszuschütteln, und die dritte, weil sie statt der schwarzen „aufreizende“ weiße Strümpfe trug (*120). Vor dem Hintergrund der lustfeindlichen bürgerlichen Moral, die jede Enthüllung oder auch nur Betonung des Körpers in der Öffentlichkeit mit einem Tabu belegte, musste die gerade (noch) gestattete Freizügigkeit beim Baden von einer starken erotischen Aufladung begleitet sein, wovon die damalige populäre Bildkunst reichlich Zeugnis ablegt. So verwundert es auch nicht, dass 1875 am Strand von Burg (auf Fehmarn) ein „lustwandelndes Honoratioren-Ehepaar mit zwei konfirmierten Töchtern“ beim Anblick einer dort barbusig badenden „schwarzhaarigen glutäugigen Brasilianerin“ sofort die Polizei alarmierte. Als diese eintraf, hatte sich bereits eine dichte Menschenmenge gebildet, die sich diesen sensationellen Anblick nicht entgehen lassen wollte (*121).
Im Laufe der Zeit erfuhren die praktischen Belange der Badenden mehr Berücksichtigung: zunehmend fanden Baumwollstoffe Verwendung, die Stoffmassen der Anzüge schrumpften, die Hosenbeine wurden kürzer, die Mode insgesamt vielfältiger und differenzierter, Arme blieben unbedeckt, Halsausschnitte wurden modern und schließlich bekam auch der Rücken einen tiefen Ausschnitt. Dabei gab es jedoch auch immer wieder Rückschritte. So wurde z.B. 1909 in München der kürzer gewordenen Badekleidung der Kampf angesagt. Männer und Frauen durften nur noch in züchtigen hochgeschlossenen Trikots ins Wasser steigen, und an allen „Gefahrenquellen“ wurden die Geschlechter getrennt (*122).
Mit dem ersten Weltkrieg und dem im Zusammenhang damit stehenden Wandel vieler überkommener Moralvorstellungen kam es zu einem nachhaltigen Liberalisierungsschub. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts übernahmen die Frauen die einteiligen und unversteiften Schwimmanzüge der Männer (*123) und Mitte des Jahrzehnts tauchten vereinzelt die ersten zweiteiligen Damenbadeanzüge auf (*124), die allerdings noch wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Bikinis hatten. Anfang der 30er Jahre kamen farbige Einteiler in Mode. Zugunsten einer größeren Bewegungsfreiheit hatte man 1928 damit begonnen, die Trikots in der Taille, an den Achseln und im Rücken auszuschneiden. Dies sowie das als „unmoralisch“ empfundene Verhalten in den Strand- und Familienbädern rief die Sittenwächter auf den Plan. So hieß es z.B. in einer katholischen Streitschrift von 1930: „Das Gros im wilden Strandbad sitzt, liegt, wälzt sich und lungert herum, gähnt die Welt an und lässt sich von der Sonne schlapp und heiß brennen – eine Gesamtsituation, die fraglos die beste natürliche Voraussetzung bietet für ein moralisches Sichgehenlassen, für schmutzige Phantasien und Begierden, genährt durch den Freimut des Strandbadverkehrs.“ (*125). Der 1932 angeordnete „Zwickel-Erlass“ des preußischen Innenministers richtete sich gegen die „ausufernde Freizügigkeit“ bei der Badekleidung und legte genau fest, wieviel ein Badeanzug zu bedecken hatte (*126). Obwohl §2 dieser „Bade-Polizeiverordnung“ besagte, dass Frauen nur mit einem Brust und Leib auf der Vorderseite des Körpers bedeckenden Badeanzug öffentlich baden durften, ließ sich die weitere Lockerung damit nicht lange aufhalten, und viele fragten sich – besorgt oder erwartungsvoll – wo die Enthüllung enden sollte. Mit Ausnahme der Naturisten bestand jedoch ein Konsens darüber, dass die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale weiterhin verborgen bleiben sollten.