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Habiru

Autor:
Dirk Gerhardt
Verlag:
Books on Demand GmbH
Erscheinungsjahr:
2005
Sonstiges:

Taschenbuch
258 Seiten
Preis 15,90 €
ISBN 978-3-8334-2859-3

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Leseprobe
3: Die Swastika

Nach dem Essen gingen Schena und Sarah an die frische Luft. Schena hatte Inanna um Erlaubnis gebeten, Sarah noch ein wenig rumzuführen, um ihr das Dorf zu zeigen. Inanna war erfreut, sie sagte, es könne nie schaden von den Weisheiten anderer zu lernen, und gab den beiden mit auf den Weg, sich doch rege auszutauschen. Die Vögel zwitscherten, die Luft war jetzt, als die Sonne schon etwas tiefer stand, noch wärmer geworden. Es war aber immer noch angenehm. Sie gingen nebeneinander her. Schena führte sie zum zentralen Platz. Dort blieb Sarah plötzlich wie angewurzelt stehen. Sie war kreidebleich geworden. In der Mitte des Platzes waren Steine in einer runden Mosaikform gesetzt worden, und in der Mitte des Kreises war mit dunkleren Steinen deutlich ein Hakenkreuz zu erkennen.

„Das ist ja ein Hakenkreuz.“ Stellte sie erschreckt fest: „Seid ihr etwa Nazis?“

Sarah hatte gerade erst im letzten Halbjahr im Geschichtsunterricht sehr viel davon erfahren, welches Unrecht unter dem Hakenkreuz in die Welt getragen wurde. Sie hatten ein KZ besucht, in dem Hitler Hunderttausende Menschen vergasen ließ. Der Schreck war ihr wirklich ins Gesicht gestiegen.

Schena antworte gelassen: „Ich weiß nicht, was ein Hakenkreuz ist. Und das Wort Nazis kenne ich auch nicht. Wie soll ich dir also sagen, ob wir welche sind. Das musst du schon näher erklären.“

Doch Sarah war sprachlos vor Schreck.

Schena atmete tief ein und holte weit aus: „Das Zeichen, welches dich so sehr erschreckt hat, ist unser heiligstes Zeichen. Wir nennen es Swastika, es ist das Zeichen des Zentrums, um das sich alles dreht. Und es liegt selbst im Zentrum des Lebenskreises.“

„Swastika? Das habe ich noch nie gehört.“ Sarah war immer noch verstört. „Und was sagtest du? Lebenskreis?“

„Ja. Die Natur bringt alles rund hervor. Die Körper der Menschen und der Tiere haben keine Ecken. Unsere Sternkundigen meinen, auch all das was man im Himmel sehen kann, die Sonne, der Mond, die Sterne, der Weiße Sternengürtel, sie alle sind rund und Kreise in größeren Kreisen. Und auch hier auf der Erde ist es so, denk nur an den Horizont, an einen Regenbogen oder den See, in dem du eben badetest. Wir ehren den Kreis: Der Kreis ist zeitlos, steht nie still; aus dem Tod geht neues Leben hervor – Leben, das den Tod besiegt. Der Kreis hat keinen Anfang und kein Ende. All das ist für uns schön und voller Bedeutung; es ist Symbol und Wirklichkeit zugleich. Es drückt die Harmonie von Leben und Natur aus. Wir versuchen unsere Kultur dem soweit wie möglich anzupassen. Wir sitzen im Kreis, die gesamte Sippe vereint, um den Esstisch, oder um das Lagerfeuer. Selbst unsere Hütten sich rund, und kreisförmig um dieses Zentrum herum angeordnet. Selbst die umliegenden Dörfer bilden einen Kreis um Eridu herum.“

Sarah hatte den Mund sperrangelweit offen, so sehr staunte sie über die Worte Schenas.

„Ihr habt Sternkundige?“ Sie war von der Weisheit Schenas beeindruckt, nicht jedoch so sehr, als das sie sich nicht gewundert hatte, als Schena von den Sternkundigen sprach.

„Aber ja, jeder geht seinen Interessen nach, in der Zeit, die wir für uns haben. Einige beobachten die Natur, um die Regeln der Zyklen zu erforschen.“

Sarahs Verwirrung wuchs und wuchs.

„Bei uns nennt man es Hakenkreuz, ein irrer Diktator hat es vor 70 Jahren zum Zeichen seiner Herrschaft gemacht. Er ließ Lager bauen, in dem die Menschen zur Arbeit gezwungen wurden und umgebracht wurden. Ich weiß aber nicht, warum er ausgerechnet dieses Zeichen nahm. Seitdem ist es Symbol des Grauens.“

„Wie kann denn so ein heiliges Zeichen Symbol des Grauens sein? Es ist Symbol des Lebens. In was für einer seltsamen Welt lebst du?“ Nun gesellte sich die Verwirrung auch auf Schenas Seite. Auch ihr schienen tausend Gedanken durch den Kopf zu schießen, vor allem wohl wegen der Bedeutung der Wörter, die sie nicht kannte und die ihr grundlos vorkommende aufgeregte Stimmung Sarahs.

„Was bedeuteten diese eigenartigen Wörter, die du eben erwähntest? Diktator? Irre? Und das andere, wie war das noch?“

Sarah sagte: „Meinst du – Herrschaft?“

Schena nickte.

„Da hat ein grausamer Mensch sich selbst zum Herrscher gemacht, so weit ich weiß, nutzte er dafür eine allgemeine Notlage aus, und hat dann unendlich viel Leid und Krieg über die Welt gebracht. Er hieß Adolf Hitler. Er wollte unbedingt die Welt beherrschen und griff dazu viele andere Länder an.“

Schena war wütend. Nun hatte sie noch mehr Fragen. „Wie kann denn ein Mann allein so viel Leid und Gewalt verursachen? Gab es denn niemanden, der sich dagegen gewehrt hat? Habt ihr keine Weisen Frauen? Woher kam die Not? Gab es eine Naturkatastrophe und eure Felder standen leer oder wie? Und überhaupt, was hat es mit dieser Herrschaft auf sich? Ich begreife nicht, was das bedeuten soll.“ Die Fragen schossen nur so aus Schena heraus. Jetzt fing sie auch an, sich aufzuregen, während sich Sarah langsam wieder beruhigte. Diese Menschen hatten mit dem Terrorregime des Dritten Reichs nichts gemein. Sie waren keine Nazis.
Rezension

Klappentext

Rezension

„Habiru – die spannende und hintergründige Traumreise einer Vierzehnjährigen zu den Wurzeln der modernen Zivilisation…

Sarah aus Hamburg versteht die Welt nicht mehr. Sie geht Abends zu Bett und wacht in Mesopotamien wieder auf – und das auch noch rund 5.000 Jahre vor unserer Zeit. Von Hamburg ins Zweistromland und wieder zurück nach Hamburg, immer wieder geschieht es – im Schlaf, ohne ihr Zutun und doch ganz real. Es passiert immer wieder, so dass sie bald ein Doppelleben in Hamburg und Mesopotamien führt. Sie ist verwirrt und weiß nicht, ob es sich um einen Traum oder eine mystische Reise des Bewusstseins handelt. In ihren Visionen lernt sie Schena und ihr Volk kennen, die in vollkommener Harmonie ein friedliches, erdverbundenes Leben führen. Mit der Zeit entdeckt sie, dass der Sinn ihrer Reise darin liegt, die uralten Verbindungen der beiden Welten zu erkennen, um das Denken und Handeln in der heutigen Zeit beurteilen zu können. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Ankunft der Habiru, gewalttätiger Wüstennomaden, die genau zu dieser Zeit in Schenas Welt auftauchen; während in Sarahs Welt der zweite Irak-Krieg beginnt…

Seit mehr als 25 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit Weltanschauungen, Wissenschaft, Religionen und Kulturen – angetrieben von der Frage „Warum ist die moderne Welt so lebensverachtend, gewaltsam und materialistisch?“ Ich bin heute überzeugt davon, dass unsere derzeitige Lebensweise keine Zukunft haben kann und das es die egozentrischen Werte sind, die uns so handeln lassen. Jedoch frage ich mich immer noch: Warum sind gerade diese Werte so machtvoll und alles beherrschend geworden? War es unvermeidlich? Gibt es keinen Ausweg?

Ich glaube mittlerweile, dass der Mensch an sich die Fähigkeit besitzt, mit Hilfe einer „Kultur der Ehrfurcht“ seine animalischen Erbanlagen zu überwinden. Das beweisen u.a. die Überlieferungen historischen Völker, bei denen viel mehr die gemeinnützigen Werte das Denken und Handeln bestimmten.

Dirk Gerhardt ist gar der Meinung, dass solch eine Kultur in höchster Vollendung vor vielen tausend Jahren bereits existiert hat. In „Habiru“ hat er sie auferstehen lassen. Meine Frage nach dem „Warum“ kann er für mich nicht überzeugend beantworten. Es ist ihm jedoch ausgezeichnet gelungen, eine wahrhaft demokratische Gesellschaft glaubhaft zu beschreiben und sie schonungslos und punktgenau mit unseren kapitalistischen „Schein-Demokratien“ ins Verhältnis zu setzen. Allein das macht „Habiru“ unbedingt lesenswert!

Unsere verzwickte, hochkomplexe Zivilisation fegte alle „schwachen Kulturen“ hinweg und scheint keine andere Lebensweise mehr zuzulassen. Ist das „Recht des Stärkeren“ nun unser unvermeidliches Schicksal oder befinden wir uns nur in der „Sturm- und Drangzeit“ unserer Entwicklung? Gerade heute gibt es immer mehr Menschen, die sich für eine menschenwürdige Zukunft engagieren. Menschen wie das Mädchen Sarah, die wieder auf den Grund der Dinge blicken, die Zusammenhänge suchen und die sich nicht mehr blenden lassen wollen. Das macht Hoffnung! Vielleicht ist die Zeit endlich reif für den Sprung zum „wahren Menschen“?!

Darum lasst uns die menschlichen Werte pflegen, um das zerstörerische Erbe der Habiru endgültig zu überwinden!“

Frank Baldus

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