Leseprobe
Stephan Antczack – Die Geduld war am Ende
Für Gudrun Borries
Die Geduld war am Ende. Gestern noch hatte sie mit Zauber gewettet: Wenn es der Seele die Sprache verschlägt, würde sie in Stellung gehen. Sie würde jeden Kummer mobilisieren, sollten die beiden ein Bündnis eingehen. Der Zauber dagegen hätte sich eine liebende Verbindung von Seele und Sprache gewünscht. Das wäre die ideale Kombination, so nahm er an, denn sein Interesse war es, die Macht der künstlichen Intelligenz einzugrenzen. Die künstliche Intelligenz brauchte die Sprache, doch auf eine Seele konnte sie getrost verzichten. Die künstliche Intelligenz, das war der dominante Berg am Horizont, düster, massiv, undurchdringlich und unzerstörbar. War das wirklich möglich? War die künstliche Intelligenz so mächtig geworden, dass sie der Seele die Sprache entreißen konnte? Was der Zauber nicht wusste, war, dass die künstliche Intelligenz unmerklich, heimlich und konspirativ mit der Geduld Kontakt aufnahm und ihr die Seele versprach. Ein Handel, mit dem der Zauber keineswegs rechnen konnte. Rechnen war sowieso eine Qualität, von der er lieber fastete. „Rechnen macht dick!“, pflegte er zu sagen. Und die Geduld war aktiv. Sie wusste, auf Kummer konnte er sich verlassen. Dieser alte Griesgram verstand es prächtig, so komplizierte Figuren wie die Sprache von ihrem Weg abzubringen und in die Irre zu führen. Er wusste einfach, was er tat. Es gab nämlich eine Begebenheit, die hätte dem Zauber alle Reize genommen, wäre sie ihm bekannt gewesen. Kummer, der sonst stets mit der Liebe zu Tisch saß und der darum damit rechnen durfte, dick zu werden, hatte sich in all den Gesprächen mit der Liebe auf den Zauber eingelassen und sich verliebt. Da dem Zauber aber dicke Gedanken, Gefühle und Figuren abhold waren, wurde Kummer von sich selbst ergriffen. Diese Situation nutzte die künstliche Intelligenz gnadenlos aus und versprach ihm Gewichtsverlust, wenn er sich mit der Geduld verbinden würde, um Sprache und Seele zu entzweien. Was er nicht wusste, denn er war sehr dumm, war, dass er mit diesem Handel gegen seine eigenen Interessen handelte. Er blieb zwar dünn und galt damit dem Zauber als potentielles Objekt der Liebe. – Er war mit seinem Handeln sogleich aus dem Rennen, denn der Zauber konnte nur subjektive Kräfte verstehen und verkraften und einen Kummer wollte er so nicht anrühren. Und der Kummer wurde von der Trauer ergriffen, die den Zauber traf, weil dieser sich gegen die Macht der künstlichen Intelligenz nicht durchzusetzen verstand. Kummer, ergriffen von Trauer, war handlungsunfähig. So konnte am Ende die Geduld nichts ausrichten. Trotz aller Macht gegen die künstliche Intelligenz gingen die Sprache und die Seele zur Liebe und nahmen an Kummers Stelle Platz. Dort war die künstliche Intelligenz verloren und die Geduld weinte bitterlich.