Leseprobe
Mein Zaubergarten
In der Dämmerung zwischen Tag und Traum betrete ich ihn.
Da steht die schlanke Wegwarte und schaut mit blauem Auge sehnsüchtig in die Ferne; sie wartet auf ihren Liebsten; zärtlich streiche ich über ihr grünes Kleid. Vorbei an dem dunklen Zauberer Tollkirsche, imposant in seiner Gestalt – aber gefährlich.
Großmutters lilaroter Blutwegerich stillt blutende Wunden und Herzen in ihrer Güte.
In der Ecke hocken die Frauenmanteljungfern in leuchtenden grünen Blusen, sie sammeln den Tau auf den Blättern und lassen ihn wie Diamanten in der Sonne funkeln.
Die Wiese voller Gänseblümchenkinder, die Mützen weiß mit einem rosa Rand.
Kennst du noch den Duft der Gänseblümchen aus deiner Kindheit? – da waren wir der Erde noch so nahe.
Ein Zwerg zwischen den Büschen zeigt auf den Klee in der Wiese: „Machen wir ein Glücksspiel?
… wer ein vierblättriges findet?“
„Und was kann ich gewinnen?“
„Pfennigkraut!“
„Und was kann ich damit machen?“
Listig zwinkert es mir zu: „Es anschauen.“
Auf der anderen Seite der Wiese stehen viele kleine Krankenschwestern in ihrem weißen Kleidchen und der gelben Haube.
„Wer seid ihr denn?“
„Camilla, Camilla“, kichern sie, „wir heilen verletzte Erde und verletzte Menschen.“
Die etwas größeren Ringelblumen, in verschiedene Gelbtöne gekleidet, fallen ein: „Wir können das auch – jeder auf seine Weise.“
Nun betrete ich den Kräutergarten. Da herrscht ein emsiges Treiben.
Herr Lauch, aufrecht mit weißer Kochmütze, die im Zipfel grün herunterfällt, scheint das Kommando zu haben.
Frau Petersilie mit breitblättriger Schürze steht neben Herrn Dill, der für die feine Küche zuständig ist.
Der dicke Knoblauch rührt in jedem Topf – aber bitte nicht im Pudding!
Frau Fenchel kocht ein Krankensüppchen.
Der Leinen in seinem blauen Kittel schaut vorbei: „Noch ein paar Samenkörner bei Verdauungs-beschwerden – oder etwas Öl? Ich bin auf dem Weg zur Spinnerei.“
Kresse, gelborange, wuchert vor der Küche, bereit, auf den Salat zu springen oder ihn mit ihren Blüten zu zieren.
Die grüne Brennnessel wuchert besitzergreifend. Sie hat viel zu bieten: Vitamine für den Salat, Tee zur Blutreinigung. „Ich brenne das Rheuma weg und meine Wurzeln mit den weißen kleinen Kullerchen bringen Ammoniak in die Erde – ich bin sozusagen von Kopf bis Fuß auf Gesundheit eingestellt.“
Die Zwiebel ruft: „Wer will mich entblättern?“ – Es scheint kein Interesse zu geben – sie stinkt. Na ja, denkt sie, beim ersten Wespenstich kommen sie schon gerannt.
Soviel Trubel, ich verlasse den Küchengarten und setze mich auf die Bank neben den Brunnen.
Max Kürbis liegt faul neben dem Kompost und sein gelber Bauch wird immer dicker.
Vor mir der violette Schmetterlingsstrauch, Palucca der Gärten; voller Anmut tanzt sie mit Pfauenauge, Admiral, Zitronenfalter und all den bunten Gesellen.
Der Duft der Blumenkönigin „Gloria Dei“, betörend – wie schön, dass Dornen Rosen tragen.
Noch ein Mal leuchtet der Rotlack auf, Veilchen nicken und der Rittersporn steht Spalier.
Nun wallen die Nebelfrauen aus dem Tal und decken mit ihrem grauen Schleier den Zaubergarten zu.
Sommerregen (Dietrich Wilhelm Grobe)
Ein grauer Himmel –
Sommerregen
fällt leis herab
und hüllt das Land,
die Schnecken nehmen
auf den Wegen,
die Feuchte nutzend,
überhand!
Ein Blütenblatt
der Kletterrose
sinkt leise
in den Wiesengrund,
als wolle es,
das Namenlose,
beenden
den Geschwisterbund.
Die Amsel flötet
leise Lieder,
ganz nah
im hohen Fichtenbaum
vom Nachbargarten
klingt es wieder –
ein Sommerregenzaubertraum!