Leseprobe
Seltene Begegnungen (Ceylon – 1991) von Karin Rosenplänter
Fernab von Deutschland, ganz verborgen,
in einem Pool, sehr früh am Morgen.
First Class Hotel im Regenwald.
Das Wasser ist noch ziemlich kalt.
Zwischen grünen Urwaldriesen,
von Braun getränkt die blauen Fliesen.
Im Wasser baden Kakerlaken.
Das ist der einzig große Haken.
Doch mittendrin schwimm ich entspannt,
denn mir ist durchaus wohl bekannt,
was nun hier gleich geschehen wird.
Am Himmel es schon sirrt und schwirrt.
Von oben nieder schießt ein Schwarm
bunter Eisvögel heran.
Dreißig, vierzig oder mehr,
tauchen ins Insektenmeer.
Nur Zentimeter neben mir,
schnappt einer sich ein Krabbeltier.
Glänzend feucht ist sein Gefieder.
Es tönen laut die Urwaldlieder.
Rechts und links und vorn und hinten,
sieht man bunte Vögel sprinten.
Orange-türkise Farbenpracht
diesen Pool schnell sauber macht!
Die andern hab ich schlafen lassen,
aber was sie hier verpassen,
tut mir wahrlich leid für sie.
Daheim erlebt man sowas nie.
Das lächelnde Kalb – Kenia 1992 von Karin Rosenplänter
Kenia – spontan denke ich an ‚hakuna matata’, einen besonders aus ‚Der König der Löwen’ bekannten Begriff, der in Swaheli ‚alles in Ordnung’ in jeder Form umschreibt.
Und ich erlebe ein unglaublich schönes Land, nette Menschen, reiche Artenvielfalt.
Kenia, wo rote Erde blauen Himmel küsst, man nah bei wilden Tieren ist.
Heute, am dritten Tag unserer Rundreise, steht ein Besuch im Massai-Dorf an. In einem Pulk von sieben Jeeps geht es durch die Wildnis. Vorbei an Löwen, Elefanten und Co., unser Fahrer Ali bittet uns während der Fahrt, bei Ankunft im Dorf dem stolzen Volk der Massai Respekt zu zollen. Eine Selbstverständlichkeit für uns, aber leider nicht für alle.
Als wir ankommen, stürmen Mitreisende schon los. Raus aus den Jeeps, rein in die Hütten. Ich fühle mich wie im deutschen Sommerschlussverkauf. Ungläubig beobachte ich die hetzende Meute. Sie drängeln die Dorfbewohner zur Seite, rennen sich gegenseitig fast über den Haufen. Blitzlichter leuchten auf. ‚Und nominiert ist …’, denke ich. Die Szene erinnert an eine Oscar-Verleihung. Schauplatz: Roter Teppich.
Stillschweigend treten die Massai zur Seite. Ihre hübschen Gesichter und anmutigen Körper spiegeln Unbehagen wider.
„Oh je, wie würd‘ ich mich fühlen, wenn wildfremde Menschen durch meine Wohnung rennen, alles begaffen und anfassen?“ Ups, da hab‘ ich wohl laut gedacht.
Einer unserer Reisebegleiter entgegnet flapsig: „Ei horsche maa, du Mobbelsche. Se wisse doch, uff was se sisch da egelasse habbe. Bekumme ´ne Haufe Schodder dafür!“ Seine schrillen Bermudashorts flattern in der sanften Brise. Ebenso der Geldschein, den er kampflustig in die Höhe streckt. In seinen hochglänzenden Brillengläsern spiegeln sich der kopfschüttelnde Ali und wir.
Manche Leute muss man ‚babbeln’ lassen, denke ich. Wir jedenfalls werden die Privatsphäre dieser Menschen respektieren. Ali bleibt mit uns beiden auf dem Dorfplatz zurück, während unser vierter Mann sein ‚gutes Recht’ einfordert. Schließlich hat er ja dafür bezahlt …
Mit nacktem Oberkörper watschelt er auf pinken Flipflops über den Mix aus Hühnerdreck und Kuhfladen. Immer noch mit gezückter Lanze aus wedelnden Geldscheinen.
Gespannt schaue ich mich um. Der gesamte Dorfplatz ist ein einziger Haufen aus Hühnermist und Kuhfladen. Plattgestampft durch circa hundert Massaifüße und wer weiß wie viele Touristen. Erstaunlich, dass es hier so gar nicht stinkt.
Die aus dünnen Stöcken geflochtenen Rundhütten sind kreisförmig um den Platz herum angeordnet. Die Dächer hat man zum Schutz vor Sonne und Regen mit Plastikplanen und weiteren Kuhfladen bedeckt. Lediglich eine der Behausungen ist mit einer Tür und Fensterläden ausgestattet. Hier lebt der Häuptling des Stammes. Der Rest der Hütten ist türen- und fensterlos. Nicht einmal Tücher grenzen den Innenraum vom Außen ab.
Fast ausschließlich junge Mütter belagern den Dorfplatz. Sie tragen ihre Babys in bunten Tüchern auf dem Rücken. Ihr goldener Schmuck glitzert in der heißen Mittagssonne. Eine Vielzahl Kleinkinder tobt fröhlich um die hübschen Frauen herum. Sie spielen mit freilaufenden Hühnern Fangen und ein kleiner Junge trullert ein altes Rad durch den Staub. Dabei hüpft er immer wieder krummbuckelig hindurch. Von links nach rechts, von rechts nach links.
Die Älteren haben unterdessen mit einem Stock ein Spielfeld in den Boden gekratzt und werfen nun Steinchen für Steinchen darauf. Immer wenn ein bestimmtes Symbol getroffen wird, schreien und kreischen alle durcheinander und die Kleinen kommen neugierig herbeigelaufen. Ihr ausgelassenes Lachen zeigt deutlich sichtbar ihre Freude am Leben und selbstvergessenen Spiel.
Mein Blick wandert ruhig durch das Dorf. Die älteren Frauen stehen abseits des Trubels, fernab der Hütten. Wie eine bunte Perlenkette haben sie sich aufgereiht und beginnen für die Touristen zu tanzen und zu singen. Nach einer Weile gesellen sich die jungen Frauen und Kinder hinzu.
Ich lasse meinen Blick noch einmal über den Dorfplatz schweifen, während ich den fremden Klängen lausche.
Plötzlich fühle ich mich beobachtet. Ich suche den Platz nach forschenden Augen ab und werde schnell fündig. Auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes steht ein alter hochgewachsener Mann. Sein hagerer Körper ist in ein rotes Webtuch mit orangegelben Streifen gewickelt. Nur sein rechter Arm schaut etwas heraus. Mit diesem stützt er sich auf einen langen Stock, ein Bein etwas nach vorn gestellt. Seine knubbeligen Kniegelenke springen mir sofort ins Auge, so mager ist der Mann mit dem grau bestoppelten Kopf. Seine Füße stecken in ausgelatschten grauen Sandalen. Seine wachsamen Luchsaugen tasten uns ab, bevor er sich langsam und gemächlich in Bewegung setzt. So, als hätte er noch ein halbes Jahrtausend Zeit. Er steuert direkt auf uns zu. Dann stellt er sich neben mich und nimmt meine Hände zwischen seine.
Warmherzig und beinahe zahnlos lächelt er mich an. Dabei spricht er mit Ali auf Swahili. Dieser schaut mich an und übersetzt die Worte des Stammesoberhauptes: „Der Häuptling des Dorfes begrüßt euch herzlich.“
Freundlich nicken wir dem Dorfältesten zu. Ali fährt an mich gewandt fort: „Er hält sich normalerweise im Hintergrund, wenn Touristen kommen. Aber er möchte gern mal dein helles, lockiges Haar berühren! Und er fragt sich, warum ihr nicht mit den anderen in die Hütten gegangen seid. Ich habe ihm erklärt, dass ihr die Privatsphäre seines Volkes nicht stören wolltet. Das hat ihn sehr beeindruckt.“ Abschließend fügt er hinzu: „Es ist eine große Ehre, dass er euch persönlich begrüßt!“
Verlegen lächele ich dem Häuptling zu und halte ihm mein Haar hin. So etwas habe ich bisher noch nie erlebt. Sein Wunsch irritiert mich doch sehr. Mit strahlenden, fast schwarzen Augen lässt er immer wieder seine dunkelbraune Hand durch meine langen hellblonden Locken gleiten. Mir ist, als würde die Zeit stehen bleiben. Für einen Augenblick vergesse ich die Menschen und den Ort um mich herum. Es gibt hier nur noch einen schwarzen und einen weißen Menschen, die sich auf seltsame Weise nahestehen.
Kurz darauf spricht der Häuptling Ali erneut an, während ich, immer noch ergriffen, das süße Kälbchen zu unseren Füßen betrachte. Seelenruhig schläft es auf dem staubigen Boden.
Mit einem Mal lacht Ali fröhlich auf und wendet sich wiederum an mich: „Er bittet dich, sein Kälbchen und somit sein Dorf zu segnen.“
Erschrocken reiße ich die Augen auf: „Sein Kalb segnen? Das steht mir doch gar nicht zu!“ Mein Herz klopft wild vor Angst. Ich habe das Gefühl, etwas Unerlaubtes tun zu müssen. Schließlich bin ich keine Geistliche. Darf ich das überhaupt?
Ali beruhigt mich: „Es wäre ihm eine große Ehre, wenn du das für ihn und sein Dorf machen würdest.“ Nach einer kurzen Pause flüstert er mir zu: „Die Massai sind ein stolzes Volk! Ihm seine Bitte abzuschlagen, wäre sehr unhöflich.
Mit klopfendem Herzen beuge ich mich also zu dem Kälbchen hinab, streichele sein Köpfchen und bitte leise um Gottes Segen für dieses Dorf und sein einziges Kalb. Plötzlich zeigt es seine breiten Vorderzähne. Es sieht aus, als würde es selig lächeln. Der Häuptling nimmt noch einmal meine Hände in seine, streichelt ein letztes Mal meine blonden Locken und schenkt mir sein zahnloses Lächeln. Unser kleines hakuna matata! Für einen Augenblick fühle ich mich irgendwie väterlich geliebt und bin unendlich dankbar für dieses einzigartige Erlebnis. Lachend nehmen wir voneinander Abschied.