Leseprobe
Einführung
Die Lust am Reisen entspringt der Lust,
dort zu sein, wo es auf uns nicht ankommt.
(Michael Rumpf; geb. 1948; deutscher Gymnasiallehrer, Essayist und Aphoristiker)
Der vorliegende Band verdankt seine Entstehung vor allem der Resonanz auf eine 2011 erschienene Anthologie mit Reise- und Urlaubserinnerungen (*1). Die darin enthaltenen Betrachtungen, Beobachtungen und Erlebnisse haben offenbar einige Leser dazu angeregt, eigene Erfahrungen und Geschichten zu Papier zu bringen und für eine Veröffentlichung vorzuschlagen. Die hier aus Platz- und Kostengründen vorgenommene Auswahl sagt nichts über die Qualität der Zusendungen aus, denn auch die meisten der in der Anthologie nicht aufgenommenen Geschichten waren aufschlussreich und spannend, haben aber inhaltlich nicht zum Thema dramatischer, peinlicher, konfliktbehafteter, ernüchternder oder trauriger Reiseerlebnisse und Reiseerfahrungen gepasst.
Auch diesmal wurde auf eine Kommentierung der Beiträge verzichtet, denn diese sprechen für sich selbst und geben ein lebendiges, aber aufgrund der geringen Fallzahl notwendigerweise nur selektives Bild modernen Reisens. Faszinierende Landschaften, beeindruckende Bauwerke und befremdende kulturelle Praktiken haben dabei kaum einen Niederschlag gefunden, dagegen Missverständnisse und Konflikte mit Mitreisenden und Einheimischen. Das mag nur den wundern, der – in der Tradition der Bildungsreise – immer noch das wichtigste, wenn nicht einzige Ziel des Wegfahrens darin sieht, Sehenswürdigkeiten auf sich wirken zu lassen, neue Horizonte zu erschließen und die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Die meisten Touristen sind mit weniger zufrieden; sie suchen nicht unbedingt Neues und Großartiges, sondern Auszeit vom Alltag, Selbstverwirklichung, Befreiung vom Identitätsdruck und Unverbindlichkeit – alles Dinge, die aus der durchorganisierten, juristisch und bürokratisch fixierten modernen Arbeitswelt weitgehend verbannt wurden und – unter dem weitgehend akzeptierten Diktat von Genussmaximierung und Erlebnisoptimierung – vielfach auch schon in der Freizeit gefährdet sind. Urlaub und Reisen bieten hier aber immer noch (!) eine Ausflucht, zumal sich dabei – besonders wenn man alleine unterwegs ist – die umfassende soziale Kontrolle lockert bzw. weitgehend bedeutungslos wird. Wenn dann „Exotisches“ hinzukommt mag das (mitunter) eine Steigerung bedeuten, aber das Entscheidende besteht häufig darin, sich „freier“, unbeschwerter und kommunikativer zu fühlen, was aber auf Grenzen stößt, Konflikte provoziert und zu Enttäuschungen führt. Daher handeln einige der hier vorgelegten Beiträge von mehr oder weniger riskanten Handlungen und belastenden Erfahrungen in Ägypten, Frankreich, Griechenland, Italien, Rumänien, Spanien und Tunesien, wobei die Gründe teilweise auch auf Unwissenheit, Leichtsinn, Überempfindlichkeit, Übermut, Vertrauensseligkeit und andere menschliche Schwächen zurückgeführt werden können (*2).